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Substanzerhaltung und die Lebensformen

IMG_3086Es gibt bestimmte Grundsätze in unserer Weltwahrnehmung, die einen besonders fundamentalen Status inne haben. Dazu gehören die Erhaltungssätze, wie zum Beispiel die Substanzerhaltung.  Bei Immanuel Kant ist der Begriff der Substanz beispielsweise so grundlegend, dass er ihn zu den Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung zählt: die Substanz beharrt im Wechsel des Geschehens, komme was wolle.

Als eine etwas weniger fundamentale, alltagspraktische Variante des Substanzerhaltungssatzes kann man vielleicht den Erfahrungssatz verbuchen: “Dinge verschwinden nicht einfach so”. Meistens muss man nur einfach genügend lange suchen, dann taucht das verschollen Geglaubte schon wieder auf. Anders als Kants Substanz-Kategorie kann dieser Erfahrungssatz allerdings an den Fakten dieser Welt scheitern. Es ist erstaunlich, aber manchmal hilft auch Suchen nicht.

Als Beispiel für eine solche Situation kann just die zweite Folge der WissensARTen zum Thema “Lebensformen” angeführt werden, die mit Ausnahme des Videos seit drei Wochen fertiggestellt ist. Das im letzten August von der FAZ aufgenommene und dort gelagerte Videomaterial indes hat sich dem Substanzerhaltungssatz widersetzt und ist verschwunden. Die Veröffentlichung des gesamten Materials in der FAZ muss daher leider auf Mitte bis Ende April verschoben werden.

Die Artikel, Interviews und Fotos sind davon unabhängig aber bereits jetzt auf diesen Seiten veröffentlicht. Viel Spaß beim Erkunden fremder und bekannter Welten!

 

Begegnungen mit Jenny Michel

© Andreas Pein

© Andreas Pein

Im Jahr 2012 war ich in München bei der ERES Stiftung eingeladen. Diese gemeinnützige Stiftung widmet sich dem Dialog von Kunst und Wissenschaft, beispielsweise indem sie zu verschiedenen Themen Ausstellungen zusammenstellt, in deren Rahmen dann thematisch passende wissenschaftliche Vorträge und öffentliche Diskussionen zwischen Künstlern und Wissenschaftlern abgehalten werden. Das Thema, zu dem ich  eingeladen wurde, war “Chaos – Komplexität in Kunst und Wissenschaft” und ich war überaus beeindruckt von der Dichte und Eindrücklichkeit der hierzu ausgewählten Kunstwerke. Eine Künstlerin sprach mich dabei besonders an. Einerseits mit einer Reihe von ausgeschnittenen und akribisch beschrifteten Schaltplänen, getippten Textstücken und Zeichnungen, die als “Anleitung zum Zumüllen des Paradieses” den Eindruck von unverständlich-einschüchternder Komplexität erzeugten. Andererseits mit einer großformatigen Plastik, die sich über die Oberfläche mehrerer Tische erstreckte und auf den ersten Blick wirkte, als sei hier ein zähflüssiges Gel ausgelaufen, das sich auf der Tischoberfläche in Tropfen und Hügelstrukturen zusammengezogen hatte. Bei genauerem Hinsehen konnte man erkennen, dass sich in diesem Werk “The Rise and Fall of Paradise” verschiedene Kunststoffschichten überlagerten, wobei jede einzelne Schicht von winzigen Beschriftungen, wissenschaftliche Zeichnungen, Architekturpläne und sogar Sternkarten bedeckt war.

Was mir zu dem Zeitpunkt nicht bewusst war, war dass dieselbe Künstlerin auch schon drei Jahre vorher auf der Art Cologne 2009 für eines der Kunstwerke verantwortlich gewesen war, die mir dort besonders aufgefallen waren. Damals hatte ich lange Zeit vor den naturkundlichen Schaukästen des “Pulvariums” verbracht, das sie zusammen mit Michael Hoepfel entwickelt hatte, und in dem verschiedenste Staub Spezies wie neu entdeckte Lebensformen nach dem Linnéschen System katalogisiert und einsortiert waren.

Jenny Michel ist die zweite Künstlerin, die ich für das Projekt WissensARTen besucht habe. Im letzten Jahr stand ich in ihrem Berliner Atelier somit erneut vor der Arbeit “The Rise and Fall of Paradise” und lernte, dass die verschiedenen Polyesterharz-Schichten als eine Überlagerung verschiedener Denksysteme gelesen werden können, wie sie mit der Zeit entsteht, wenn altes, „zerfallendes“ Denken noch sichtbar bzw. wirksam bleibt indem es das Verständnis neuen Denkens mit bestimmt. Obwohl ich ursprünglich vor allem an ihrer Sicht auf neue Lebensformen interessiert war, wie sie beispielsweise im “Pulvarium” zum Ausdruck kommt, nahm unser Gespräch letztendlich eine sehr viel allgemeinere Wendung, indem es sich auch um wissenschaftstheoretische Fragestellungen zur historischen Entwicklung von Glaubenssystemen, die Struktur unseres Denkens und die Wirkung von Wissenschaft auf unsere Gesellschaft drehte. Die Details dazu erscheinen hier in Kürze. Noch warten wir auf die Fertigstellung der Videoaufzeichnung des Treffens zwischen Jenny Michel und der Astrophysikerin Barbara Stracke…

Das Gegenteil von zeitnaher Berichterstattung

Wohl jeder kennt den vorweihnachtlichen Zeitstrudel, der einen erfasst und immer mehr beschleunigt bis man zu Weihnachten dessen Zentrum erreicht, und von dem man dann um Silvester herum wieder ausgespuckt wird, so dass man langsam wieder in ruhigere Gewässer trudelt. Bis man dann aber wieder wirklich bei Sinnen und orientierungsfähig ist, ist es plötzlich schon Februar. Mit anderen Worten: seit November wollte ich in diesem Blog vom State Festival berichten. Dieser Veranstaltungs-Neugründung in Berlin, die sich mit der Wissenschaft in künstlerischer Perspektive beschäftigt und bei der ich im letzten Jahr das große Vergnügen hatte, das Projekt WissensARTen vorzustellen.

Angesichts des großen zeitlichen Verzuges werde ich mich kurz fassen und vor allem Bilder sprechen lassen. Zu sagen ist aber in jedem Fall, dass es den Veranstaltern gelungen ist, eine inspirierende Mischung aus wissenschaftlichen Vorträgen, künstlerischer Reflexion, aus gelingenden Kooperationsprojekten zwischen Künstlern und Wissenschaftlern und erfahrbarer Kunst vor Ort zu kreieren, die das anwesende, sehr gemischte internationale Publikum zu vielseitigen Diskussionen rund um das Thema einer Begegnung von Kunst und Wissenschaft im Allgemeinen und um das Thema Zeit im Speziellen anregte.

Ich war insbesondere am Freitag in dem von Daniela Silvestrin kurierten STATE Forum vor Ort. Hier ging es in Podiumsdiskussionen um die Frage, wie Kunst und Wissenschaft sich begegnen können. Zunächst berichteten Paare kooperierender Künstler und Wissenschaftler von ihren Erfahrungen. Jenny Michel, die in Kürze hier auf Wissensarten vorgestellt wird, machte sich vor allem für das Potential der Kunst stark, Wissenschaft kritisch zu hinterfragen und einzuordnen, während andere Künstler vor allem ihre Begeisterung an der Leistungsfähigkeit der Wissenschaft und den Möglichkeiten, diese künstlerisch umzusetzen, zum Ausdruck brachten. Die anschließende Keynote von Michael-John Gorman zeigte am Beispiel der Science Gallery, wie Kunst als Medium genutzt werden kann um wissenschaftliche Inhalte für die Öffentlichkeit erfahrbar und zugänglich zu machen. In der abschließenden Podiumsdiskussion zur Möglichkeit einer “Dritten Kultur” ging es schließlich um Probleme und Chancen, die ein Zusammentreffen der naturwissenschaftlichen und der künstlerisch-geisteswissenschaftlichen Kultur bereithält. Von einer Podiumsdiskussion zu berichten, bei der man selbst mitgewirkt hat, ist aus verschiedenen Gründen ein recht schwieriges Unterfangen. Zumindest gab es im Anschluss an die von Teresa Dillon moderierte Runde, in der neben mir noch Carsten Hucho vom Paul-Drude-Institut, Christian de Lutz vom Art Laboratory Berlin und Joanna Hoffmann-Dietrich von der University of Arts in Poznan auf dem Podium saßen, einen lebhaften Meinungsaustausch, der sich noch lange nach Ende der offiziellen Podiumsdiskussion fortsetzte.

Es bleibt zu hoffen, dass die Einsicht in die Fruchtbarkeit einer dritten Kultur mittelfristig die starren disziplinären Grenzen, die unsere akademische Welt nach wie vor bestimmen, etwas aufzuweichen vermag. Eine gute Nachricht ist zumindest, dass das Projekt WissensARTen mit dazu beigetragen hat, im Feuilleton auf faz.net die Rubrik “Dritte Kultur” zu etablieren.

Abschließend möchte ich hier noch die subjektive Linksammlung weiterreichen, die ich vom STATE-Festival mitgebracht habe (die Auswahl begründet sich durch das zufällige Zustandekommen von Gesprächen auf dem Festival):

  • Alistair McClymont ist eine wirkliche Fusion aus Künstler und Wissenschaftler. Seine Werke sind durchzogen von wissenschaftlichem Verständnis und experimentellen Fertigkeiten. Besonders beeindruckend war für mich sein schwebender Wassertropfen:
    http://www.alistairmcclymont.com/
  • Wie sich herausstellte verbindet Vesna Petresin und mich ein gemeinsames Interesse am Cern. Sehr spannend ist, welche Projekte sie dort als Künstlerin umsetzt:
    http://www.rubedo.co.uk/
  • Dass ich das Konzert von John Kameel Farah aufgrund der Gespräche nach unserer Paneldiskussion verpasst habe, ärgert mich noch immer. In Zusammenarbeit mit dem Astrophysiker John Dubinski hat Kameel Simulationen zur Entstehung und Verschmelzung von Galaxien vertont:
    http://www.johnfarah.com/
  • Erfolgsmodell der künstlerischen Wissenschaftsvermittlung: die Science Gallery in Dublin:
    https://dublin.sciencegallery.com/
  • Einer der lebhaftesten Panelisten: der Künstler Luca Pozzi. Vor allem die Idee hinter seinen Werken “Supersymmetric Partner” ist überaus originell:
    http://www.lucapozzi.com/
  • Und alle Teilnehmer auf einen Blick:
    http://www.statefestival.org/participants/

Peter Lang

Manche Kontakte brauchen Jahre, bis sie es aus dem Raum der wahrscheinlichen Möglichkeiten in die Realität schaffen. 2012 hatte ich mich auf einer Party in Berlin mit dem Kurator Peter Lang unterhalten. Peter Lang war ein auf den ersten Blick eher unauffällig wirkender Mann Mitte 50, der aber zu den bekanntesten Ausstellungsmachern Deutschlands zählte und ständig von spannenden und zu Diskussionen anregenden Projekten zu berichten hatte. Wir beide liefen uns in Berlin regelmäßig über den Weg, seit wir uns ursprünglich in ganz klassischer Art und Weise mit “Guck mal, der ist auch Physiker” vorgestellt worden waren. Tatsächlich hatte Peter in seinem “Leben vor der Kunst” Physik studiert und sein Interesse an dem Fach nie verloren. Wann immer wir uns trafen gerieten wir schnell in Gespräche über die Quantenphysik, Astrophysik, Wissenschaftstheorie und natürlich die Kunst. Auf jener Party 2012 erzählte er mir, ich müsse unbedingt die Künstlerin Jorinde Voigt kennen lernen. Deren Werke würden mir gefallen mit ihrem starken konzeptuellen Hintergrund und den vielfältigen theoretischen, auch philosophischen, Bezügen.

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Tatsächlich fand ich Jorindes Arbeiten zu Beethovens Sonaten atemberaubend, allerdings gelang es mir beim schnellen Lesen der mitgeschickten Einleitung nicht wirklich, neben dem oberflächlich-ästhetischen auch einen theoretischen Zugang zu finden. Bei weiteren Nachforschungen auf der Webpage verlor ich mich dann irgendwo im dichten Unterholz der zahlreichen Werkserien und Verlinkungen.

Zu Jorinde fand ich erst wieder zurück, als sich das Projekt WissensARTen konkretisierte und ich mich auf die Suche nach Künstlern machte. Beethoven, Klang, Hörwahrnehmung, Akustik, das könnte funktionieren. Jorinde war gleich begeistert von dem Konzept, auch wenn es mir angesichts ihres berstenden Terminkalenders nicht gelang, sie vor unserem Interview persönlich zu sprechen und unsere Verabredung noch einmal zeitnah bestätigen zu lassen. Doch entgegen aufziehender Bedenken klappte alles. Wie verabredet war sie da, um mich in ihrem Atelier zu empfangen, und nahm sich viel Zeit um mir ihre Werke, ihr Denken und ihre Arbeit zu erklären. Peter Lang hatte Recht behalten. Je länger ich ihr zuhörte, je mehr ich lernte, desto überraschter war ich über die Parallelen die sich offenbarten. Ein vermutlich ähnliches Elternhaus, eine ähnliche, klassische Musikausbildung, ähnliche Autoren und Bücher, die einflussreich waren (Goethe, Hofstadter, Searle, Luhmann, Goodman) – Ingredienzen, die mich letztendlich in die Philosophie und Astrophysik geführt oder zumindest begleitet hatten, aber bei Jorinde als Motive im Rahmen künstlerischer Auseinandersetzung wirksam wurden.

Es ist eine bittere Ironie des Schicksals, dass Peter Lang knapp zwei Wochen vor meinem Treffen mit Jorinde in München einem Herzinfarkt erlag und nie erfahren wird, wie richtig er vor zwei Jahren mit seiner Einschätzung lag. So reiht sich dieses Projekt ein in das breite Spektrum von Ausstellungsnachklängen, Konzeptionen, Texten und Ideen, die dazu beitragen, dass Peter Lang weiterhin lebendig bleibt und hineinwirkt in den großen Raum möglicher Begegnungen zwischen Kunst und Wissenschaft.

Was lange währt…

Mit diesen Worten begann die Email der Robert Bosch Stiftung, nachdem endlich die Entscheidung gefallen war, dass dieses Projekt in das Förderprogramm „Neue Wege im Wissenschaftsjournalismus“ aufgenommen würde. Gewährt hatte die Idee einer Zusammenführung von Kunst und Wissenschaft in einem journalistischen Wissenschaftsfeuilleton tatsächlich lange. Vor zwei Jahren hatte ich zusammen mit Joachim Müller-Jung ein Pilotprojekt zum Thema Algen mit dem Künstler Friedrich Liechtenstein (der in der Zwischenzeit Bekanntheit unabhängig von seinem damaligen Herzensthema „Algen“ erlangt hat) und dem Wissenschaftler Otto Pulz durchgeführt. Daraus entstand die Idee einer multimedialen Serie, die das gleiche Konzept auf verschiedene Themen anwendet: ein Thema, zwei Menschen, zwei Perspektiven, die schließlich in einem Gespräch aufeinandertreffen.

FotoDabei soll es, und das ist wichtig, nicht in erster Linie um eine wirkliche Zusammenführung von Kunst und Wissenschaft gehen. Die Erwartung ist nicht, dass Künstler und Wissenschaftler sich treffen und plötzlich wie durch eine chemische Reaktion etwas wunderbares Neues entsteht, in dem Kunst und Wissenschaft sich zu etwas Größerem vereinigen (wenn so etwas passieren würde, würden wir natürlich trotzdem dankbar mit der Kamera draufhalten). Ich persönlich glaube nicht, dass Künstler durch den Dialog mit Wissenschaftlern unbedingt zu besseren Künstlern oder Wissenschaftler durch künstlerischen Input zu besseren Wissenschaftlern werden. Die Motivation dieses Projektes ist eher philosophischer Art: Was können wir lernen, wenn wir Phänomene in der Welt einerseits aus künstlerischer Perspektive, andererseits in wissenschaftlicher Sichtweise betrachten? Und gleichzeitig: Was können wir, wenn wir dieses Experiment durchführen, darüber lernen, was Kunst und Wissenschaft selbst ausmacht?

Das Gute an dem Konzept ist: es ist kein Beinbruch, wenn den Leser diese Fragen nicht so richtig interessieren. Sie sind quasi Bonustrack. Denn in jedem Fall wird es auf der Seite davon unabhängig einfach spannende Interviews und hübsche Bilder zu entdecken geben. So die Hoffnung. Denn was lange währt sollte ja dann eigentlich auch gut werden.