Klangwelten

Der Wasserkocher brummt, das Radio dudelt, das Handy klingelt und der Nachbar schaut mal wieder viel zu laut Fernsehen. Wir sind permanent umgeben von Geräuschen und Klängen. Die jeweilige Geräuschkulisse, in der wir uns aufhalten, hat offensichtlich einen großen Einfluss auf uns und unser Befinden. Klänge und Geräusche dienen zur Orientierung, transportieren Informationen, erzeugen Emotionen und lassen uns mit der Welt kommunizieren.

Es ist wenig überraschend, dass Klänge und Geräusche als so fundamentaler Bestandteil unseres Lebens auf vielfältige Art Eingang in die Künste finden. Die Musik ist dabei nur das naheliegendste und vertrauteste Beispiel. Variiert, ergänzt und aufgeweitet wird das Thema Klang im vielfältigen und breiten Feld der auditiven und audiovisuellen Kunst. Gleichzeitig inspiriert die besondere Struktur, Dynamik und Bedeutung von Klang auch immer wieder eine Umsetzung in den bildenden Künsten.

Während die Kunst sich getrost auf subjektive Eindrücke und individuelle Erfahrung berufen können, geht es in den exakten Naturwissenschaften typischerweise darum, den störenden Einfluss von Subjektivität und individueller Verschiedenheit zugunsten von objektiven Messverfahren und allgemeinen Aussagen so weit wie möglich zu minimieren. Es ist ein spannender Aspekt an der Erforschung akustischer Wahrnehmung, dass diese Methode hier an Grenzen stößt: der Mensch und dessen individuelle Eindrücke stehen schließlich im Mittelpunkt des Interesses. Die Erforschung der Geräuschwahrnehmung ist daher in besonderem Maße auf kreative und interdisziplinäre Methoden angewiesen, um allgemein gültige Beschreibungen und Anwendungen mit individuellen Wahrnehmungen in Einklang zu bringen.

Wir haben in Berlin die Künstlerin Jorinde Voigt und die Wissenschaftlerin Brigitte Schulte-Fortkamp getroffen, um uns dem Thema verschiedener Klangwelten aus beiden Perspektiven zu nähern.

© Andreas Pein

Jorinde Voigt, geboren 1977 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet in Berlin und ist seit 2014 Professorin für konzeptuelle Zeichnungen und Malerei an der Akademie der bildenden Künste in München. Die Themen Klang und Musik finden sich in ihrem thematisch vielseitigen Werk an verschiedenen Stellen, beispielsweise in den Arbeiten “Beethoven Sonate 1-32”, “Top 100 Popsongs” oder “Akustische Impulse”. Ihr eigener biographischer Hintergrund einer klassischen Musikausbildung hat dabei ihre Arbeitsweise geprägt: “Dadurch, dass ich sehr viel Musik gemacht habe, ist dieser Transkriptionsprozess für mich etwas Normales. Wie man Musik empfindet wenn man sie spielt. Das, was sich da transportiert in der Partitur, diese Zusammenhänge, diese Motive, überhaupt dieses nie auf die gleiche Art wiederholbare Erleben.“ Ihre Zeichnungen können entsprechend als Partituren gelesen werden, die auf allgemeinere Zusammenhänge, auf größere Denkmodelle verweisen und dabei das Ziel verfolgen, ein tieferes Verständnis des jeweils behandelten Phänomens zu erlangen.

 

© Andreas Pein

© Andreas Pein

Brigitte Schulte-Fortkamp ist Professorin für Psychoakustik und Lärmwirkung an der TU Berlin am Institut für Strömungsmechanik und Technische Akustik. Sie war Vizepräsidentin der Acoustical Society of America und ist dort aktuell als Kandidatin für das Präsidentenamt nominiert. In ihrer stark anwendungsorientierten Forschung geht es unter anderem darum, konkrete Geräuschsituationen in enger Zusammenarbeit mit den Betroffenen so zu verändern, dass deren Lebensqualität erhöht werden kann. Die Umgestaltung des Nauener Platzes in Berlin, bei der Verkehrslärm reduziert und eine neue Klangumgebung erzeugt wurde, ist ein Beispiel für einen solchen Prozess, der 2012 mit dem European Soundscape Award ausgezeichnet wurde. Eine zentrale Herausforderung ist dabei, die Wahrnehmung von Geräuschen mit dem zusammen zu bringen, was physikalisch messbar ist: “Wie hoch ist die Vermittelbarkeit zwischen dem, was verbal beschrieben wird, und dem, was letztlich verstanden werden soll? Das ist ja ein großer Sprung wenn mir jemand etwas über ein Geräusch berichtet. Man kann ja sagen: es war laut, leise, schön, harmonisch, disharmonisch, hat mich wahnsinnig gemacht. Aber ich höre das Geräusch auf der Grundlage der Beschreibungen immer noch nicht. Also braucht man mehr Informationen. ich persönlich liebe die Verbindung zwischen der physikalischen Beschreibung und der perzeptiven Beschreibung.”

 

Das Treffen zwischen Jorinde Voigt und Brigitte Schulte-Fortkamp fand Ende August in Berlin statt. Als Ort, der für das Thema Klang und Soundscape eine interessante Kulisse bieten würde, hatte Frau Schulte-Fortkamp den Platz vor dem Berliner Dom genannt. Das Stimmengewirr der zahlreichen Touristen überlagert sich hier mit dem Plätschern des großen Springbrunnens, dem Rauschen des Verkehrs auf der Straße unter den Linden und dem Baustellenlärm des neu errichteten Berliner Schlosses während der Berliner Dom einen Ort der Ruhe darstellt. Ähnlich zum Bild “New York 5th Avenue” (siehe Treffen mit Frau Schulte-Fortkamp) wurde auch die Geräuschkulisse vor dem Berliner Dom von Schulte-Fortkamp in einer Spektralanalyse festgehalten, in der man die für den Ort charakteristischen akustischen Signaturen visuell verfolgen kann. Auch Jorinde Voigt hegt eine besondere Vorliebe für den Berliner Dom, der zusammen mit der Philharmonie zu ihren Lieblingsgebäuden in Berlin zählt. Gleichzeitig lassen sich hier Phänomene verfolgen, die auch in ihrem Werk immer wieder eine Rolle spielen: Die besonderen Rhythmen, die sich aus der Überlagerung von Einzelereignissen ergeben und die kollektive Muster von Geräuschen und Ereignissen.


© Sibylle Anderl und WissensARTen, 2014. Inhalte dieser Webseite sind urheberrechtlich geschützt. Die Vervielfältigung von Informationen oder Daten, insbesondere die Verwendung von Texten, Textteilen, Bildmaterial oder Audio- oder Videodateien, bedarf der vorherigen Zustimmung der Autorin.

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