Interview mit Barbara Stracke

Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) liegt in Adlershof, einem Bezirk weit im Südosten Berlins nahe des Flughafen Berlin-Schönefeld, wo sich Forschungsinstitutionen genau wie Technologie- und Medienunternehmen finden. Barbara Stracke holt mich und den Fotografen Andreas Pein am Empfang ab und zeigt uns erst einmal die Ausstellung im Erdgeschoss des DLR, in der man unter anderem die Oberfläche unseres Nachbarplaneten Mars in 3D erkunden kann. Für das anschließende Gespräch über Barbaras Arbeit und die Suche nach Leben auf fremden Planeten ziehen wir uns schließlich in die Bibliothek zurück, in der wir ungestört und umgeben nur von Büchern und Tagungsbänden die wissenschaftliche Seite der Lebensformen diskutieren können.

© Andreas Pein

© Andreas Pein

Inwiefern spielen die Themen Lebensformen und Lebenswelten in deiner Forschung eine Rolle?

Genau genommen setzt meine Forschung einen Schritt davor an. Ich schaue, was Voraussetzungen für Leben sein können. Ich bin ja Physikerin und keine Biologin, obwohl ich mich durchaus auch als Astrobiologin sehe. Die Astrobiologie ist ein sehr großer Bereich, bei dem es zum Beispiel um die Entstehung von Leben auf der Erde geht aber auch wie Leben auf anderen Planeten aussehen könnte. Und es geht eben auch darum, physikalisch zu klären, was die Voraussetzungen für Leben sind. Das ist der Punkt, an dem ich ansetze.

Und was sind die Voraussetzungen?

Meistens wird das herunter gebrochen auf drei Voraussetzungen: die Energie, die das Leben braucht um sich erhalten und reproduzieren zu können, eine relativ komplexe Chemie, meistens Kohlenstoffchemie, um überhaupt Zellen aufzubauen und größere, komplexere multizelluläre Lebewesen zu bilden, und flüssiges Wasser. Und da setze ich vor allem an. Mein Thema sind ja die Exoplaneten, von denen man mittlerweile über tausend gefunden hat. Da ist es natürlich spannend, zu fragen: welche von diesen Planeten könnten denn möglicherweise flüssiges Wasser auf der Oberfläche haben?

Könnte es auch Leben geben, das nicht auf flüssiges Wasser angewiesen ist?

Denkbar ist vieles. Alles Leben, das wir hier auf der Erde kennen, von Einzellern, Pflanzen, Tieren, bis zum Menschen, braucht Wasser in irgendeiner Form, und es ist sehr wichtig als Lösungsmittel. Natürlich kann man sich andere Lösungsmittel vorstellen. Methan wird beispielsweise diskutiert, denn auf dem Saturnmond Titan existiert flüssiges Methan auf der Oberfläche. Die Temperatur auf Titan ist allerdings sehr kalt. Bei Methan liegt beispielsweise der Siedepunkt unter dem Gefrierpunkt von Wasser. Wenn sich dort Leben entwickeln würde, wäre es wohl auf Grund der kalten Oberflächentemperatur sehr langsam. Können wir dann überhaupt noch nachweisen, wie sich dieses Leben bewegt, fortpflanzt oder verhält? Das ist dann die Frage.

Wie weit ist man auf der Suche nach flüssigem Wasser auf Planeten?

Wie gesagt sind bisher über tausend Exoplaneten entdeckt worden, davon eine große Anzahl Gasriesen, die sich sehr nah am Stern befinden. Die waren erstmal am einfachsten mit der Transitmethode oder der Radialgeschwindigkeitsmethode nachzuweisen. Aber mit den Weltraumteleskopen CoRoT und Kepler konnte man auch kleinere Planeten finden. Allerdings immer noch keine wirklichen Gesteinsplaneten, bei denen man Masse, Radius und damit Dichte bestimmen konnte, zumindest nicht in der habitablen Zone. Und um die Bestimmung der habitablen Zone geht es in meiner Forschungsarbeit.

Kannst Du kurz erklären, was sich hinter der Transit- und der Radialgeschwindigkeitsmethode verbirgt?

Transitmethode heißt: Wenn der Planet in der Sichtlinie zum Stern kreist, dann verdeckt er diesen kurz während des Transits. Das kann man nachweisen, indem man Lichtkurven von vielen Sternen aufnimmt und diese dann systematisch untersucht. Wenn man den Abfall in der Lichtintensität nachmessen kann und dieser wirklich zu einem Planetentransit passt, kann man den Radius des Planeten bestimmen und über die Keplerschen Gesetze dann die Umlaufperiode und darüber den Abstand zwischen Planet und Stern. Diese Methode wird verwendet für CoRoT und Kepler, aber auch für alle bodengebundenen Transit-Surveys.

Und die Radialgeschwindigkeitsmethode?

Planet und Stern kreisen beide um das gemeinsame Massezentrum, d.h. wenn ich nah am Stern einen schweren Planeten habe, dann führt das zu einem “Wobbeln”, zu einer leichten Bewegung des Sterns. Das kann man nachmessen wenn man sich das Licht des Sterns ansieht, das dann über den Dopplereffekt rot bzw. blauverschoben ist. Wieder über die Keplerschen Gesetze bekommt man dann die minimale Masse des Planeten und die Abstände zum Stern. Idealerweise kann man diese Methode zusammen mit der Transitmethode anwenden. Dann kann auch die Inklination bestimmt werden, die Neigung der Bahnebene. Und damit habe ich dann nicht mehr nur die minimale Masse sondern die reale Masse und den Radius, und daraus kann dann die Dichte bestimmt werden. Dann weiß man schon viel eher: ist das ein Gasriese, ein Gesteinsplanet oder ein Mini-Neptun? Für die “Zweiten Erden”, die immer wieder bekanntgegeben werden, ist es oft kritisch, weil man nicht Beobachtungen mit beiden Methoden hat. Wenn beispielsweise von Kepler eine Supererde (ein Planet mit 1 bis 10 Erdmassen) verkündet wurde, dann weiß man teilweise nur eine obere Masse, aber nicht die reale Masse, weil Kepler sehr weit entfernte Sterne beobachtet und man von denen nicht mit der Radialgeschwindigkeitsmethode Nachbeobachtungen machen kann, um damit die Dichte zu bestimmen.

Was hat es nun mit der habitablen Zone auf sich?

Die habitable Zone ist der Bereich um einen Stern, in dem habitable Planeten möglich sein können. Wobei Habitabilität heißt: das Potential einer Umgebung, Leben über einen bestimmten Zeitraum zu unterstützen. Die Definition ist sehr allgemein. Es heißt nicht, dass dort Leben sein muss, sondern dass die Voraussetzungen dafür existieren, also Energie, Kohlenstoff und flüssiges Wasser. Um die Grenzen der habitablen Zone zu bestimmen, wird das Modell eines sehr erdähnlichen Planeten verwendet, der eine Atmosphärenzusammensetzung mit CO2, Wasser und meistens noch eine Stickstoff-Hintergrundatmosphäre hat. Die innere Grenze wird dadurch bestimmt, dass die Oberflächentemperatur einfach zu hoch wird für flüssiges Wasser, die äußere Grenze bestimmt sich über den Gefrierpunkt von Wasser bei 0 ºC.

Wo wäre die habitable Zone in unserem Sonnensystem?

Das kommt darauf an, wie man die Grenzen bestimmt. Die Erde liegt natürlich idealerweise darin. Generell spielen aber viele Faktoren eine Rolle. Die innere Grenze ist zum Beispiel abhängig von der Methode, die zur Bestimmung der Grenzen verwendet wird. In der klassischen Studie von Kasting et al. von 1993 wurde zum einen der kritische Punkt von Wasser benutzt bei 374 ºC. Darüber hinaus gibt es einfach kein flüssiges Wasser mehr. Diese Grenze war bei 0.84 AE (Astronomische Einheit = mittlerer Abstand zwischen Erde und Sonne). Dann gibt es aber noch eine zweite innere Grenze, die sogenannte Wasserverlustgrenze. Wenn ich den Strahlungsfluss vom Stern erhöhe, erhöht sich die Temperatur auf dem Planeten und ich verdampfe mehr Wasser. Irgendwann ist so viel warmer Wasserdampf in der Atmosphäre, dass vermehrt Wasserdampf in die Stratosphäre gelangen kann. Wenn Wasserdampf aber in die Stratosphären gelangt, kann es dort durch hochenergetische ultraviolette Strahlung dissoziiert werden in Wasserstoff und Sauerstoff. Der sehr leichte Wasserstoff kann dann ins All entweichen. Darüber wird ein Wert festgelegt, der dem Verlust des gesamten Wasserreservoirs der Erde innerhalb der Lebenszeit der Erde entspricht. Die Grenze hierfür liegt bei 0.95 AE.

In den Modellen geht man also von einem erdähnlichen Planeten aus? Inwiefern wird von dieser Annahme auch abgewichen?

Damit wird auch gespielt. Zum einen wird der Sterntyp variiert, aber es werden für den Planeten auch unterschiedliche Massen und unterschiedliche Atmosphärenzusammensetzungen angenommen. Aber der Ausgangspunkt für die meisten Studien zur Bestimmung der habitablen Zone ist erstmal ziemlich erdähnlich.

Nun hat man bereits eine große Anzahl von Exoplaneten entdeckt. Wie viele von diesen befinden sich in der habitablen Zone?

Das sind nicht sehr viele. Die Festlegung ist relativ schwierig. Der erste potentiell habitable Planet war Gliese 581d, der um den leuchtschwachen M-Stern Gliese 581 kreist. Er wurde 2007 entdeckt und es gab viele Studien dazu, in denen man die Atmosphäre modelliert hat. Grundsätzlich verwendet man die habitable Zone und schaut: passen die neu detektierten Exoplaneten da rein? Die meisten passen nicht, weil sie zu groß sind, zu nah am Stern oder man zu wenig Informationen hat. Im Fall von Gliese 581d konnte man nachweisen, dass für einen bestimmten Druck und eine bestimmte Konzentration von CO2 Temperaturen über 0°C erreicht werden. Der Planet ist eher am äußeren Rand der habitablen Zone.

Ob ein Planet in der habitablen Zone liegt, ist also nicht nur einfach eine Frage des Abstandes des Planetens vom Stern sondern hängt auch davon ab, welche Annahmen man über die Atmosphäre des Planeten macht?

Genau, das ist wichtig. Das ist ja auch bei uns im Sonnensystem so. Wenn wir die Erde unabhängig von ihrer Atmosphäre anschauen würden und einfach eine Gleichgewichtstemperatur bestimmen auf der Grundlage der einfallenden solaren Strahlung und der thermischen Strahlung, die vom Planeten zurückgestrahlt wird, dann wäre die Temperatur bei -18 ºC. Wenn man die Atmosphäre und deren Treibhauseffekt mitrechnet, hat man auf einmal einen zusätzlichen Effekt von 33 ºC, das heißt die gemittelte Temperatur der Erde liegt dann bei 15 ºC, was über dem Gefrierpunkt von Wasser ist und somit die Erde habitabel macht. Darum ist es extrem wichtig, welche Atmosphäre der Planet hat.

Aber macht die Abhängigkeit von der unbekannten Atmosphärenzusammensetzung die Festlegung der Habitabilität eines Planeten nicht extrem beliebig? Wie geht man damit um?

Bei der Zusammensetzung der Atmosphäre orientiert man sich zum Beispiel an Beobachtungen der Atmosphären der Gesteinsplaneten unseres Sonnensystems wie z.B. von Venus, Erde und Mars, in denen jeweils CO2, Wasser und molekularer Stickstoff zu finden ist. Das heißt, für die uns interessierenden Gesteinsplaneten ist es wahrscheinlich, dass diese Moleküle in deren Atmosphäre enthalten sind. Diese Annahme scheint als erste Annahme sinnvoll. Für CO2 beispielsweise kann man anhand von Modellen des Inneren des Planeten schließen, wie viel CO2 z.B. über Vulkanismus in die Atmosphäre gelangen könnte. Man weiss ja tatsächlich ziemlich wenig über die Atmosphären dieser Exoplaneten. Man hat zwar schon bestimmte Atome wie Natrium und Kalium und Moleküle wie Wasser, CO und Methan in Atmosphären von Exoplaneten nachgewiesen, allerdings in “hot jupiters“, also in heißen, sehr nahen Gasriesen. Teilweise auch in Mini-Neptunen, aber für wirklich interessanten Planeten, kleinere Gesteinsplaneten, kann man das noch nicht nachweisen und es wird auch noch eine ganze Weile dauern bis dies möglich ist.

Was denkst du wie lang es dauern wird?

Als ich angefangen habe, Mitte der 2000er Jahre, gab es geplante Weltraummissionen wie Darwin oder TPF. Darwin war von der ESA geplant, TPF, der “terrestrial planet finder”, von der NASA. Es ging darum, schon gefundene erdähnliche Planeten, am besten in der habitablen Zone, direkt zu detektieren, indem man das Licht des Sterns abblendet. Dann kann man den Planeten direkt beobachten und idealerweise ein Spektrum der Atmosphäre aufnehmen. Damals hieß es noch, Mitte 2010 oder 2020 würde es so weit sein, aber momentan sind wir immer noch bei der Suche. Es braucht einfach ein bisschen länger. Um diese großen Missionen durchzuführen, die auf die Charakterisierung der erdähnlichen Planetenatmosphären ausgerichtet sind, müssen wir erst Gesteinsplaneten finden, die in der habitablen Zone sind.

Was sind die nächsten Fragen und Ziele für die Planetenforschung?

Erstens ist immer noch zu klären, wie die Atmosphären aussehen und welche Rückschlüsse man daraus auf die Temperatur der Planeten ziehen kann. Auch die Frage, wie Planetensysteme aufgebaut sind ist weiterhin interessant. Man ist ursprünglich von unserem Sonnensystem ausgegangen, in dem die terrestrischen Planeten innen sind und die Gasriesen außen. Das war relativ logisch und man hatte dafür gute Erklärungen gefunden. Dann hat man die ersten Exoplanetensysteme entdeckt, die ganz anders aufgebaut waren, was man mit den ursprünglichen Erklärungen für das Sonnensystem nicht erklären konnte. Da gab es dann ein Umdenken in Bezug auf unser Sonnensystem. Man hat bisher nur wenige andere Planetensysteme gefunden, die mit dem Sonnensystem vergleichbar sind. Eins fällt mir ein, das relativ ähnlich wie unseres ist, allerdings ganz anders dimensioniert. Dieses Planetensystem mit sieben Planeten um den Stern KOI-351 wurde von meinem Kollegen Dr. Juan Cabrera entdeckt. In den nächsten Jahren wird es immer mehr Daten geben. 1995 wurde der erste Planet um einen sonnenähnliche Stern entdeckt und seit dieser Zeit über tausend. Aber die meisten bisher detektierten Planeten sind innerhalb des Orbits von Merkur, also innerhalb von 0.4 AE, das heißt spannend wird es in ein paar Jahren, wenn wir Planeten detektieren können mit Orbits bis zu 1 AE, wo die Erde positioniert ist. Also innerhalb der habitablen Zone, die allerdings für unterschiedliche Sterntype unterschiedliche Positionen hat.

Und welche neuen Missionen stehen an?

Die nächsten Exoplanetenmissionen sind erstmal Cheops, eine Schweizer Mission, die schon gefundene Planeten beobachtet, die mit der Radialgeschwindigkeitsmethode nachgewiesen wurden, und schaut ob sie für diese Planeten Transits findet. Dann gibt es die Nasa Mission Tess, die nach extrasolaren Planeten sucht. Und dann gibt es das Weltraumtelekop Plato 2.0, was besonders hier im Haus spannend ist, da meine Kollegin Prof. Dr. Heike Rauer die Leiterin des Plato-Konsortiums ist. Die Mission soll in zehn Jahren starten und nach leuchtstärkeren Sternen als Kepler suchen und die Hälfte des Himmels scannen. Eine Millionen Sterne werden detektiert werden. Diese Mission wird wirklich die Möglichkeit haben, einen erdähnlichen Planeten in der habitablen Zone zu finden. CoRoT und Kepler waren wirklich wichtig, aber Plato ist jetzt das neue, große Highlight für die Planetensuche und Charakterisierung.

Wie groß ist der Einfluss des öffentlichen Interesses auf die Forschung?

Ich habe das Gefühl, es ist riesig. Ich weiß nicht, wie viele “Zweiten Erden” schon bekanntgegeben wurden. Es ist auch wirklich spannend: Kann Leben außerhalb der Erde existieren? Falls es Hinweise darauf gibt, wäre es einer der großen wissenschaftlichen Umbrüche. Das ändert unser Selbstverständnis noch einmal auf eine ganz andere Weise. Für die Religion wäre das auch ein großes Thema. Eine ähnliche Erfahrung wurde schon mit der Kopernikanischen Revolution gemacht, als die Sonne anstelle der Erde in den Mittelpunkt des Sonnensystem gerückt wurde. Das aufzugeben war ein großer Schritt, weil darauf ein komplettes System aufgebaut war.

Wie stark beeinflussen Erwartungen, die man als Wissenschaftler hat, das was gefunden wird?

Einen solchen Einfluss kann es natürlich schon geben. Beispielsweise könnte auf der Erde eine Art Schattenbiosphäre existieren, wir aber einfach nicht die Möglichkeiten haben, beziehungsweise sensibel genug sind, diese wahrzunehmen. Natürlich schränkt es ein, wenn wir von dem Leben ausgehen, das wir hier auf der Erde kennen. Es ist als erster Schritt meiner Ansicht nach das Richtige, erstmal nach dem zu suchen was wir kennen. Denn was wir nicht kennen, kann einfach so vielfältig sein, dass gar nicht wirklich klar ist, in welche Richtung man suchen müsste. Es gibt schon Ideen, wie es aussehen könnte, wenn Leben zum Beispiel nicht mehr strukturgebend auf Kohlenstoff basiert sondern auf Silizium. Das ist alles ganz schön, aber für den ersten Schritt ist es erstmal o.k. bei dem Leben, wie wir es kennen, zu bleiben. Selbst da finde ich es unglaublich, wie vielfältig dieses Leben ist.

Könnte eine Änderung der Erwartungen, der Perspektive aber vielleicht dazu führen, neue Phänomene wahrzunehmen?

Ich weiß nicht, ob es ausreicht, einfach nur den Blickwinkel zu ändern. Dies kann auf jeden Fall helfen, um auch Anderes wahrzunehmen. Aber ich glaube es geht darüber hinaus. Es kann wirklich sein, dass es noch nicht genügt, den Blickwinkel zu ändern, sondern dass es eine komplett andere Wahrnehmung sein müsste.

Künstler würden wohl sagen, dass sie größere Freiheiten haben, ihre Perspektive zu ändern weil sie weniger eingeschränkt sind durch paradigmatische, methodische Vorgaben. Was sind Deine Erfahrungen in Bezug auf die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Künstlern und Wissenschaftlern?

Ich wurde im Sommer 2014 von der Künstlergruppe AO& aus Wien eingeladen, mit einem befreundeten bildenden Künstler, Mirko Winkel, etwas zum Thema Weltraumtourismus zu präsentieren. Diese Zusammenarbeit hat sehr viel Spaß gemacht. Wir haben sehr viel geredet im Vorfeld bis wir Themen gesammelt hatten, die uns interessiert haben. Für mich war immer wichtig, dass es auch wissenschaftlich fundiert sein sollte. Und Mirko hat die Themen  immer wieder ausgeweitet. Mit komplett anderen Idee, auf die ich mich erstmal einstellen musste. Aber genau das hat ganz viel eröffnet, um es dann auch wieder nach außen weiter zu geben. Wir hatten es dann auch als Gesprächssituation inszeniert. Wir haben zur Unterstützung ein paar künstlerische Bilder benutzt, zum Beispiel Bilder vom Lunarpark, den es früher in New York gab. Mirko hat immer wieder einen anderen Blickwinkel eingebracht, beispielsweise welche Rollen Design, Bekleidung oder auch Science Fiction für den Weltraumtourismus spielen. Ich war eher für die Vermittlung der wissenschaftlichen Fakten verantwortlich. Es ging immer darum: Wie finden wir einen Weg, unsere beiden Ansätze zusammen zu bringen, was  eine ganze Weile gedauert und viel Kommunikation gebraucht hat.

Denkst du, dass die künstlerischen Perspektivwechsel und Brückenschläge in andere Bereiche auch für Wissenschaftler neue Perspektiven und nützliche Anregungen liefern können? Oder ist es letztendlich doch eher störend?

Es kommt drauf an. Ich fand die Zusammenarbeit mit Mirko in Hinblick auf Kommunikation nach außen extrem sinnvoll. Normalerweise denke ich in meinen eigenen Strukturen, und wenn ich mit anderen Wissenschaftlern spreche, sind die Strukturen relativ ähnlich. Der Blick von Künstlern… ich weiß nicht ob es unbedingt Künstler sein müssen. Mit Mirko hat es gut funktioniert, weil er sich selbst ein bisschen mit dem Thema interessehalber auseinandergesetzt hatte. Aber ich glaube, es müssen vielleicht noch nicht mal Künstler sein, sondern einfach Menschen, die interessiert sind und die einfach eine andere Herangehensweise haben. Ich glaube, das kann helfen und ist für die Wissenschaft auf jeden Fall sehr wichtig. Obwohl gleichzeitig die Wissenschaft auch oft zu vereinfacht dargestellt wird. Es ist schwierig, in aller Komplexität darzustellen, was beispielsweise meine Forschung ist. Es eine große Kunst, klar und verständlich auszudrücken was ich genau mache ohne zu viel Relevantes zu vernachlässigen.

Eine Idealform von Kooperation könnte ja vielleicht sein, dass man Ideen für Analogien oder kreative Modelle bekommt, auf die man vielleicht als Wissenschaftler selbst nicht gekommen wäre, die aber für die Wissenschaft nützlich sein können. Aber das ist eher Wunschdenken?

Ich denke, es gibt bestimmt Fälle in denen das so stattgefunden hat und stattfinden wird. Es erfordert auf jeden Fall Offenheit. Offenheit, aus dem eigenen Denken und der eigenen Methode herauszugehen. Das ist ja teilweise ein Vorteil von Wissenschaft. Die Wissenschaft gibt mir relativ klare Methoden vor, wie ich vorgehen sollte. Ich habe eine Fragestellung, dann arbeite ich mich in die bisherige Literatur zum Thema ein, überlege mir, wie ich meine Fragestellung beantworten kann, was schon gemacht wurde, wo ich ansetzen kann. Dann baue ich mein Experiment, mein Modell, meine Beobachtung auf, führe das durch, interpretiere das und diskutiere das am besten noch mit anderen, dokumentiere das und mache eine wissenschaftliche Veröffentlichung daraus. Das müssten die groben Punkte sein. Und es ist relativ einfach, sich daran zu halten. Ich glaube, das ist ein bisschen der Unterschied zur Kunst. Es kann sein, dass dabei auch ähnliche Herangehensweisen verwendet werden, aber die Form des Produktes ist nicht vorgeschrieben.

Kann Kunst Dinge zutage fördern, die Wissenschaft verschlossen bleiben?

Ich glaube, emotionale Erfahrung ist ein ganz wichtiger Punkt, den Kunst ermöglichen kann. Auch in der Wissenschaft kann man persönlich emotionale Erfahrungen machen. Ein bestimmtes Ergebnis zu erlangen oder dass das Modell endlich läuft, kann sehr glücklich machen. Außerdem glaube ich, dass sich Leute freuen wenn sie in der Zeitung sehen: “Wahnsinn, eine neue Erde”. Das regt etwas an in Menschen, da es sich um eine der grundlegenden Menschheitsfragen handelt. Darum ist die Kommunikation der wissenschaftlichen Ergebnisse nach außen so wichtig. Das ist glaube ich ein ganz wichtiger Aspekt.