Menschenverständnis

© Andreas Mueller

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Jeden Tag aufs Neue stehen wir vor der Herausforderung, aus unseren Mitmenschen schlau zu werden. Dabei können wir uns meist nicht allein auf explizite Regeln im Umgang mit anderen verlassen, stattdessen folgt menschliche Interaktion und Kommunikation zum allergrößten Teil komplexen impliziten Botschaften und Konventionen. Bereits wenn wir mit einem anderen Menschen lediglich Blicke austauschen, kommen Reaktions- und Rückkoppelungseffekte zum Tragen, die unser eigenes Verhalten beeinflussen und uns Informationen über den Anderen liefern. Der Versuch, die Faktoren zu verstehen, die in unserer Interaktion mit anderen Menschen eine Rolle spielen, findet sich sowohl in der Kunst als auch in der Hirnforschung. Gleichzeitig erfordert sowohl das künstlerische Portraitieren von Personen als auch die psychiatrische Behandlung von Patienten die Fähigkeit, höchst sensibel auf das Gegenüber zu reagieren, um dessen Inneres zu entschlüsseln. Wir haben in München die Fotografin Herlinde Koelbl und den Psychiater und Neurowissenschaftler Leonhard Schilbach getroffen, um mehr über diese Phänomene zu erfahren.

 

© Andreas Mueller

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Die Künstlerin Herlinde Koelbl lebt und arbeitet in München. In ihren fotografischen Projekten geht sie verschiedenen Aspekten dessen nach, wie der Mensch mit seiner Umgebung wechselwirkt. Dabei ergänzt sie wenn notwendig die fotografische Ebene durch Interviews und Videos. In ihrem wohl bekanntesten Projekt “Spuren der Macht” dokumentierte sie beispielsweise die Veränderung von Politikern wie Angela Merkel oder Gerhard Schröder unter dem Einfluss politischer Ämter über einen Zeitraum von neun Jahren. Im Projekt „Kleider machen Leute“ machte sie in einer Serie von Doppelportraits den Einfluss von Berufskleidung auf Menschen sichtbar und illustrierte damit die wichtige Rolle der Körpersprache in der Wirkung von Menschen. Aktuell und noch bis zum Mai 2016 wird ihre Arbeit „Targets“ im Nobel Peace Center in Oslo gezeigt, in der zu sehen ist, wie Menschen in verschiedenen Ländern weltweit trainiert werden zu töten. In ihren Werken geht es Koelbl darum, Dinge grundsätzlicher zu verstehen und das Oberflächlich-Offensichtliche zu überwinden: „Dass man weiter denkt als an das Offensichtliche ist für mich ein Leitsatz. Was ist dahinter? Was ist mehr?“

Hier geht es zum Treffen mit Herlinde Koelbl.

 

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Leonhard Schilbach arbeitet als Psychiater und Neurowissenschaftler am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München, wo er seit 2015 die Max-Planck-Forschungsgruppe „Soziale Neurowissenschaft“ leitet.  Nachdem die Neurowissenschaften sich traditionell vor allem auf die Erforschung von sozialer Wahrnehmung aus einer unbeteiligten Beobachterperspektive konzentriert haben, geht es Schilbach insbesondere darum, die Wichtigkeit sozialer Wechselwirkung von Menschen im Umgang miteinander in den Fokus der Forschung zu rücken. Dabei steht zunächt die Entwicklung und Anwendung experimenteller Methoden im Vordergrund, mit deren Hilfe in Echtzeit die neuronalen Mechanismen von sozialer Interaktion erforscht werden können. Solche Mechanismen könnten dann in einem nächsten Schritt für diagnostische und therapeutische Zwecke genutzt werden. Obwohl Schilbach eine neurowissenschaftliche Herangehensweise vertritt, betont er die Wichtigkeit des sozialen und kulturellen Kontextes für das Verstehen psychischer Störungen: „Ich würde mich zwar als Anhänger der biologischen Psychiatrie bezeichnen, aber mit der Einschränkung dass man über das Gehirn hinausgehen muss.“

Hier geht es zum Treffen mit Leonhard Schilbach.

 

Die Begegnung im Lenbachhaus

Leonhard Schilbach hatte für die Begegnung mit Herlinde Koelbl als Treffpunkt das Münchener Kunstmuseum im Lenbachhaus vorgeschlagen, das für ihn und seine Familie ein beliebtes Ausflugsziel an den Wochenenden darstellt. Inmitten von Werken des Blauen Reiter, unter dem eindringlichen Blick des von Alexander Sacharoff 1909 porträtierten Tänzers Alexej Jawlensky, dauerte es nicht lange bis Schilbach und Koelbl in intensive Diskussionen über ihre jeweiligen Perspektiven auf menschliche Interaktionen und Verhaltensweisen eintauchten.

Das Treffen im Video:

 

Das gesamte Gespräch als Sounddatei (Länge: 35 Minuten):

 

Das Fazit des Treffens:

Menschen fotografieren und Menschen therapieren: welche Parallelen weisen diese beiden Tätigkeiten auf? Haben im Austausch zwischen der Fotografin Herlinde Koelbl und dem Psychiater Leonhard Schilbach die Gemeinsamkeiten oder die Gegensätze überwogen? Ein Fazit.