
© Andreas Mueller
Auf der einen Seite steht, stolz und selbstbewusst in die Kamera blickend, eine junge, mongolische Soldatin. Ihre akkurat sitzende, mit Orden dekorierte Uniform verstärkt zusammen mit ihrer aufrechten Haltung eine Ausstrahlung nicht zu hinterfragender, unpersönlicher Autorität. Auf der anderen Seite eine fein lächelnde, sympathisch wirkende Frau, in leger-schickem Pulli über der weißen Bluse, die einen Fuß vor den anderen gesetzt einen dem Betrachter freundlich zugewandten Eindruck macht. Zwei Fotos derselben Frau, zwei Portraits völlig verschieden wirkender Personen. “Körpersprache ist in meinen Bildern ein wesentliches Instrument der Mitteilung. Menschen stellen sich in ihrer Uniform völlig anders dar. Sie sind ein paar Zentimeter größer, weil sie aufrechter dastehen. Weil sie bedeutender sind in ihren Roben. Es ist mehr Selbstbewusstsein im Körper als wenn sie ganz normal zuhause sind. Dann fallen die Schultern runter. Das ist etwas, das mich immer wieder aufs neue fasziniert, diese unbewusste Veränderung”, beschreibt Herlinde Koelbl eine Beobachtung, die in ihrer Fotoserie “Kleider machen Leute” eindrucksvoll illustriert ist. Die Künstlerin, die unter anderem mit ihrer Langzeitdokumentation deutscher Politiker unter dem Titel “Spuren der Macht” große Bekanntheit erlangt hat und zu den einflussreichsten deutschen Fotografen gehört, hat in ihrem umfangreichen und vielfältigen Werk mit fast wissenschaftlich anmutender Akribie verschiedenen Aspekten des Menschseins nachgespürt. Welchen Einfluss übt ein Amt auf den Menschen aus? Wie gestalten Menschen ihre private Umgebung und wie werden sie gleichzeitig durch sie geprägt? Welches kollektive, jüdische Bewusstsein verschwindet mit der letzten Generation, die den Holocaust erlebt hat? Wie trainieren Menschen in verschiedenen Ländern, zu töten?

© Andreas Mueller
Fragen wie diesen geht Koelbl in ihren Projekten mit sorgfältig durchdachten Konzepten nach. So wie sie beispielsweise in der Serie “Kleider machen Leute” die Veränderungen, die Berufskleidung auf Menschen ausüben, anhand einer direkten Gegenüberstellung herausstellt, ergänzte sie in ihrer Serie “Spuren der Macht” die Gruppe der Politiker durch Vertreter aus der Wirtschaft und den Medien, um auch Unterschiede zwischen verschiedenen Berufsgruppen sichtbar zu machen. Wo das Verständnis eines untersuchten Phänomens allein auf der Ebene von Fotografien an seine Grenzen stößt, unterstützt sie das Fotografische durch Interviews, Tonaufnahmen oder Videos. Mit diesem Vorgehen gelingt es ihr, Dinge sichtbar zu machen, die uns einerseits oft vertraut sind, die wir aber gleichzeitig manchmal zu sehen verlernt haben. “Dass man weiter denkt als an das Offensichtliche ist für mich ein Leitsatz. Was ist dahinter? Was ist mehr? In dem Moment, wenn die Dinge selbstverständlich sind, ist man sich ihrer nicht mehr bewusst”, gibt Koelbl zu bedenken.
Es ist eine interessante Eigenschaft der Fotografie, dass sie den Betrachter viel stärker als andere künstlerische Ausdrucksformen mit der Frage konfrontiert, wo im breiten Spektrum zwischen bloßer Dokumentation und vollständiger Inszenierung ihre Werke zu verorten sind; Eine Frage, die in gleichem Maße auch den Fotografen selbst in der Wahl seiner Methoden begleitet. Für eine Einordnung von Koelbls Werken zwischen diesen Polen scheinen dabei insbesondere zwei Prinzipien wichtig zu sein: sorgfältige Hintergrundrecherche einerseits und größtmögliche Raumgabe an den Porträtierten andererseits. Sich bereits im Vorfeld umfangreiche Informationen über das untersuchte Thema zu erarbeiten, sieht Koelbl dabei als wichtige Vorbedingung, um in ihren Werken das Oberflächlich-Offensichtliche hinter sich zu lassen: “Ich versuche in meinen Arbeiten, etwas grundsätzlicher zu verstehen, etwas in einem größeren Kontext zu begreifen und die Bilder damit gewissermaßen zu unterfüttern. Obwohl niemand weiß dass ich darüber lese, glaube ich, dass man in den Bildern etwas spürt von dem, was ich in dem Thema zu erfassen, zu verstehen oder zu zeigen versuche. Dass man spürt, dass es zwar einerseits Fotografie, aber andererseits mehr ist.”

© Andreas Mueller
Gleichzeitig achtet Koelbl streng darauf, an den für sie entscheidenden Stellen keine einschränkenden Anweisungen zu geben. Die Langzeitstudie “Spuren der Macht” beispielsweise hätte ihren eindringlichen-dokumentarischen Charakter verloren, wenn die Veränderungen in Haltung und Aussehen der Politiker, die Koelbl über einen Zeitraum von neun Jahren verfolgte, durch dramaturgische Einschränkungen verfälscht worden wären. “Es gab absolut keine Vorgaben, wie die Person sich hinstellen soll, wie sie die Hände hält, was sie macht. Nichts. Nur mich mit einem ruhigen, offenen Blick anschauen. Das war das Einzige. Das heißt, es war ein Versuch, keine Eingriffe zu machen, weil ich ja die Veränderung zeigen wollte”, erinnert sich Koelbl. Mit diesem Vorgehen gelang es ihr beispielsweise, Angela Merkels Metamorphose vom schüchternen Mauerblümchen zur selbstbewussten Machtpolitikerin festzuhalten. Mit ihrem Portrait Gerhard Schröders kurz nach der Kanzlerwahl, enthüllte sie in aufschlussreicher Klarheit dessen Selbstbild im Moment des Triumphes: “Wie er in einem schönen Anzug dasteht, einem dreiteiligen, aber dann in einer Hand am Kopf die Zigarre hält, die andere Hand in der Hosentasche. Das sind für mich Bilder, die man nie so hätte inszenieren können.”

© Andreas Mueller
Um derartige Zeitdokumente zu schaffen, reicht es allerdings nicht aus, allein auf Vorgaben zu verzichten. Eine große Rolle spielt gleichzeitig das sensible Wechselspiel zwischen Portraitiertem und Fotografin, das, wie es Herlinde Koelbl beschreibt, auf der Fähigkeit beruht, der anderen Person vollständig den Raum zu überlassen und sich selbst zurück zu ziehen: “Man muss in der Situation reagieren, man muss ganz viele Sensoren haben. Man muss, und das ist glaube ich etwas Entscheidendes, sein eigenes Ego komplett zurücknehmen. Gleichzeitig versuche ich, in den Gesprächen zu erfassen: Wer ist dieser Mensch? Warum handelt er so, oder warum muss er so handeln? Es ist auch eine Spurensuche in seinem Geist und auch da wieder ein komplettes Einlassen auf den anderen.”
Was daraufhin entsteht, scheint mit bloßen Schnappschüssen, wie wir sie heute tagtäglich mit unseren Smartphones produzieren, tatsächlich nichts zu tun zu haben. “Es gibt die Möglichkeit etwas abzufotografieren. Dann ist zwar etwas zu sehen, aber es hat keine Tiefe”, beschreibt Koelbl, “Heute gibt es ja eine wahnsinnige Bilderflut. Aber viele dieser Bilder sind einfach nur dekorativ oder nett. Man wird nicht selbst hinterfragt, sie lösen nichts aus. Man kann die Bilder überall hinhängen weil sie nicht irritieren. Nichtsdestotrotz bin ich der Überzeugung, dass auf lange Sicht das bleiben wird, was mehrere Ebenen hat, was eine größere Aussage besitzt als das offensichtliche, was ich grade sehe.” Koelbl führt als Illustration dieser Einschätzung die Kommentare im Gästebuch ihrer aktuellen Ausstellung “Targets” im Nobel Peace Center in Oslo an, in der die Ausstellungsbesucher mit dem Thema Krieg konfrontiert werden: “Ich merke, dass ich bei den Besuchern Gedanken freisetze, und sie über das Normale hinausdenken. Man kann die Welt nicht verändern, das ist eine Illusion. Aber ich glaube es ist wichtig, dass man Gedanken von einzelnen Menschen verändert und anregt.”
- 31 – © Andreas Mueller
- 01 – © Andreas Mueller
- © Andreas Mueller
- 23 – © Andreas Mueller
- 22 – © Andreas Mueller
- 27 – © Andreas Mueller
- 25 – © Andreas Mueller
- 35 – © Andreas Mueller